Als Teilnehmer an der Schweizermeisterschaft 2004 im Birrfeld

von Dominik Obrist

Die Schweizermeisterschaft 2004 im Birrfeld wird mir wohl noch lange als eines meiner schönsten Segelflugerlebnisse in Erinnerung bleiben. Das Wetter spielte mit und erlaubte uns an sieben Tagen zu fliegen. Es gab weder Tage, an denen die Aufgabe nicht erfüllt werden konnte, noch Lotterietage. Alles in allem lief es mir recht gut. Die 7L und ich harmonierten gut und ich übertraf mit dem siebten Schlussrang in der Standadklasse meine eigenen Erwartungen.

Die Konkurrenzleitung zeigte bei der Wahl der Aufgaben eine glückliche Hand. Die Aufgaben gingen regelmässig an die Grenze des Machbaren, doch nie darüber hinaus, und wir kehrten oft erst spät abends vom Flug zurück. Alle Regionen rund ums Birrfeld wurden angeflogen: Jura, Mittelland, Schwarzwald, Schwäbische Alb, Voralpen und Alpen. Hier die Aufgaben der Standardklasse:

1. Wertungstag: Birrfeld - Triberg (Schwarzwald) - Schelklingen (Schwäbische Alb) - Ibach (Schwarzwald) - Birrfeld, 429,3km
2. Wertungstag: Birrfeld - Gruyère - Eschholzmatt - Merligen - Birrfeld, 317,1km
3.
Wertungstag: Birrfeld - St-Croix - Balsthal - Saignelégier - Birrfeld, 400,9km
4.
Wertungstag: Birrfeld - Todtmoos (Schwarzwald) - Schelklingen - Titisee (Schwarzwald) - Birrfeld, 361,9km
5.
Wertungstag: Birrfeld - Dagmersellen - Schruns (Oe) - Zugerberg - Birrfeld, 320,2km
6.
Wertungstag: Birrfeld - St-Imier - Birrfeld, 191,1km
7.
Wertungstag: Birrfeld - St-Imier - Col du Pillon - Crap Sogn Gion - Zugerberg - Birrfeld, 440,2km

So vielseitig wie die Aufgaben waren auch meine Erlebnisse. Lust und Frust, Höhen und Tiefen, Hangpolieren, Wolkenstrassen und Wellenaufwinde - alles war drin.

Frust ...
Frust gab es für mich vor allem an den Tagen 4 und 5. Am vierten Tag ging es ja eigentlich noch: zunächst war ich schnell unterwegs und alles schien zu passen. Die Aufwinde waren genau dort, wo ich sie erwartete und ich stieg besser als meine Konkurrenten. Dann liess ich einen entscheidenden Aufwind aus und das Blatt wendete sich mit einem Schlag. Der Pulk, der bis dahin noch hinter mir lag, war plötzlich oben an mir. Ich machte den Fehler mich von nun an am Pulk zu orientieren, anstatt mich auf meinen eigenen Flugweg zu konzentrieren und geriet zwangsläufig immer mehr ins Hintertreffen. Und ausgerechnet am äussersten Punkt der Aufgabe (in der Nähe von Schelklingen) kam ich tief und musste mich in einem halben Meter Steigen wieder hochkämpfen, währenddessen meine Konkurrenz hoch über mir wendete und heimflog. Am Abend hatte ich eine gute halbe Stunde auf die Besten verloren.




Am fünften Wertungstag lief es mir noch schlechter. Frühe Ueberentwicklungen im Glarnerland und an der Schesaplana machten den Weg nach Schruns trickreich. Im richtigen Augenblick Gas zu geben und - vor allem - im richtigen Augenblick die Handbremse anzuziehen war an diesem Tag entscheidend. Ich war leider im falschen Augenblick ungeduldig, flog zu forsch vor und fand mich in Kürze in Schruns auf 1400m wieder. Die Ueberentwicklung über der Schesaplana schattete die Sonne inzwischen weitflächig ab, und talaufwärts, von Bludenz her, blies ein kräftiger Wind. Mir war alles andere als wohl in dieser Situation und ich hätte nicht mehr viel darauf gewettet, dass ich um eine Aussenlandung herumkommen würde. Ich brauchte erst einmal ein paar Minuten in einem Nullschieber, um die Situation genau zu verstehen und neuen Mut zu fassen. Die Lösung des Problems war dann (im Nachhinein) eigentlich recht einfach: der kräftige Talwind erzeugte recht zuverlässigen Hangaufwind an sämtlichen Hängen, die exponiert ins Tal hinausragten. Die Aufwinde waren zwar ruppig und reichten bloss bis zur Krete, doch nach drei, vier Hängen hatte ich mich bis nach Bludenz vorgehangelt und erwischte dort über der Krete einen Aufwind bis auf 2000m. Mit einem kräftigen Aufwind über den drei Schwestern erreichte ich die Churfirsten, die im Hangwind gut funktionierten. Beim Speer war es mir dann klar, dass ich hier wohl den letzten Aufwind des Tages finden musste.

Es war schon spät und in Richtung Zugerberg (der letzten Wende) schattete eine grosse Abdeckung alles ab. Ich fand nach einigen Schleifen einen mässigen Aufwind etwas östlich der Spitze des Speers. Hier wehte ein kräftiger Westwind, der diese Leethermik turbulent machte. Ich verlor den Aufwind mehrere Male und fand ihn versetzt wieder. Ich blieb hartnäcknig, denn ich hatte mir jetzt in den Kopf gesetzt, die Aufgabe noch zu erfüllen. Auf 2600m hatte ich die Basis erreicht und flog vorsichtig Richtung Westen vor. Im Luv des Speers erfasste mich dann plötzlich ein sanftes Steigen von einem knappen Meter. Ich hatte eine Westwindwelle erwischt, in der ich bis auf 2850m weitersteigen konnte. Vor mir lagen aber noch beinahe einhundert Kilometer im Gegenwind. Eigentlich konnte es mit dieser Höhe nicht bis nach Hause reichen. Doch mir blieb nichts anderes übrig, als mich vorsichtig auf einen langen Gleitflug zu begeben. Er sollte rund eine Stunde dauern. Es gelang mir dabei eine sehr gute tragende Linie zu finden, mit der ich meinen Gleitflug strecken konnte. Ich wendete am Zugerberg in gut 1800m Höhe. Diese Höhe reichte dann genau noch bis ins Birrfeld. Ich war zwar über eine Stunde langsamer als meine Konkurrenten und verlor an diesem Tag einige Ränge. Doch die schöne und spannende Heimkehr versöhnte mich mit diesem verpatzten Tag.

... und Lust
Der dritte und der sechste Wertungstag waren für mich deutlich erfolgreicher. Am dritten Tag konnte ich gar einen Tagessieg nach Hause bringen. Wir flogen in reiner Blauthermik im Jura ein Jo-Jo über 400km. Mein Selbstvertrauen stimmte an diesem Tag. Ich hatte mich entschieden nicht in einem Pulk mitzufliegen. Abgesehen von den ersten Kilometern nach den Abflug war ich während des ganzen Flugs alleine. Die Steigwerte lagen bei 1,5 bis 2m/s - stark genug, um zügig entlang der ersten Krete bis nach St-Croix (der ersten Wende) zu fliegen. Auch der zweite Schenkel zurück nach Balsthal verlief recht problemlos. Kurz vor der Wende stieg ich an der Lebern nochmals bis auf 2150m, genügend hoch um zu wenden und dann entlang der zweiten und später der dritten Krete Richtung Saignelégier abzugleiten.




Hier war der eigentliche Knackpunkt der Aufgabe: es war inzwischen bereits 17 Uhr und die Luft über den Freibergen war müde geworden. Ich geriet immer tiefer, und es wurde verdächtig ruhig um mich herum. Das Plateau ist dort 1000m hoch und mir war klar, dass ich in nur 1400m Höhe kurz vor Saignelégier nicht mehr viel Spielraum hatte. Ich spähte angestrengt nach einem Zeichen für Aufwind. Die Sonne stand nicht mehr hoch, das Doubstal lag im tiefen Schatten und die trockenen Wiesen der Freiberge schienen einfach nichts mehr hergeben zu wollen. Da entdeckte ich genau vor mir eine dünne weisse Trübung am stahlblauen Himmel. Es war die Kondense eines Aufwinds, der vom Etang de Gruère aufstieg. Abendthermik!, fuhr es mir durch den Kopf, und Abendthermik findet man über Feuchtgebieten. Ich wurde mit guten 2m/s Steigen belohnt. Wenig später machte ich mich aus über 2000m auf den Heimweg. Um 17.50 Uhr erwischte ich an der Lebern nochmals 1,6 m/s Steigen bis auf 2000m. Zwanzig Minuten später war ich als Erster zuhause.

Der sechste Wertungstag war dann reines Lustfliegen. Am Vortag hatte es geregnet. Heute war eine klassische Rückseitenlage - noch ziemlich feucht und labil. Die Konkurrenzleitung entschied sich für eine kurze Sprintaufgabe: St-Imier und zurück, 191,1km. Ich glaube, wir freuten uns alle auf diesen kurzen, schnellen Flug, denn die letzten Tage hatten stark an unseren Kräften und Nerven gezehrt. Die Aufgabe hielt was sie versprach: wir erfüllten die Aufgabe in weniger als zwei Stunden. Meine Durchschnittsgeschwindigkeit lag bei 109,7km/h, nur wenig langsamer als der Tagessieger. Bei einer so kurzen und schnellen Wertung zählt jeder Kreis. In einem einzigen schwachen Aufwind verliert man mehrere Minuten, die man später nie mehr aufholen kann. Alles musste bei diesem Flug passen, wenn man schnell sein wollte. Bei mir passte fast alles: bloss an der Wende in St-Imier und kurz danach, musste ich einen schwächeren Aufwind annehmen, sonst fand ich immer eine gute Linie und konnte viel geradeaus fliegen. Mein Kreisanteil lag bei nur 19%. Das heisst, von 104,5 Minuten Flugzeit verbrachte ich bloss knapp 20 Minuten mit Kreisen. So ein Flugstil macht natürlich Spass und alle Piloten waren am Abend zufrieden und freuten sich auf den nächsten und letzten Wertungstag.

Die Krönung
Der letzte Flug wurde zur Krönung dieses schönen Wettbewerbs. An der Tour de Suisse hätte man ihn wohl als Königsetappe bezeichnet. Es war mit 440km die längste Aufgabe und führte uns durch verschiedene Gebiete der Schweiz. Der erste Schenkel vom Birrfeld nach St-Imier war problemlos und schnell (113km/h). Der zweite Schenkel zum Col du Pillon wies eine erste grössere Hürde auf: die Querung des Mittellands und den Einstieg in die Alpen. Die Querung verlief für mich ohne Probleme. Ich erwischte bereits am Mont Vully gut 2m/s Steigen - normalerweise ist dort die Luft an solchen Tagen ruhig. Mit 1300m erreichte ich am Lac de Gruyère die ersten Hänge der Voralpen. Der Einstieg gestaltete sich dann aber ein wenig harzig, und es dauerte gut zwanzig Minuten bis ich ins Saanenland einfliegen konnte. Ich wendete am Col du Pillon um 15.30 Uhr. Die Durchschnittsgeschwindigkeit auf diesem Schenkel betrug bloss noch 72,7km/h bei einem Kreisanteil von hohen 43%.

Nach dem Col du Pillon hatte ich grosse Mühe den Aufwind zu finden, den ich nun brauchte, um ins Wallis wechseln zu können. Zum Glück hatte ich aus meinem Fehler bei Schruns gelernt und nahm mir nun genügend Zeit die notwendige Höhe zu machen. Die Geduld hatte sich gelohnt. Ich fand im Wallis ausgezeichnete Bedingungen vor. Es war zwar blau, aber die Steigwerte lagen bei rund 3m/s und ich hatte durch forsches Vorfliegen die Zeit, die ich nach dem Col du Pillon verloren hatte, schon bald wieder aufgeholt. Im Obergoms wurden die Bedingungen aber schwächer und ich schob mich in nur 2600m Höhe über den Furkapass ins Becken von Andermatt. Doch damit kam ich vom Regen in die Traufe. Die Luft war hier faul und ich sank bis unter 2200m. Einzig am Gemsstock brachte ein schmales Aufwindband entlang der Seilbahn 0,8m/s Steigen. Die ganze Konkurrenz musste durch dieses Nadelöhr. Zeitweise kreisten über zwanzig Flugzeuge in diesem schwachen Aufwind eng am Hang mit dem Seilbahnkabel in der Nähe. Mir war nicht wohl bei der Sache und ich war froh als ich weiter Richtung Osten an den Hang des Piz Badus wechseln konnte. Hier war das Steigen zuverlässiger und stärker. Schon bald war ich wieder auf 3200m und flog ins Vorderrheintal ein.

Ich hatte in Andermatt viel Zeit verloren. Es war inzwischen schon 17.30 Uhr und vor mir lagen noch rund 160km. Das Vorderrheintal gab auf seiner Südseite aber noch zuverlässige Aufwinde von knapp 2m/s her. Um 18 Uhr wendete ich am Crap Sogn Gion (63,6km/h, 40%). Wir hatten uns nun zu fünft zu einem Pulk zusammengefunden. Mit 2700m flogen wir in Einerkolonne über den Panixerpass ins Glarnerland ein. Das Sernftal lag schon im tiefen Schatten und wir flogen im grossen Bogen die Westhänge ab, die noch besonnt waren. Doch diese Hänge gaben nicht mehr viel her. Erst in der Nähe des Pragelpasses fanden wir mit 0.9m/s wieder richtiges Steigen. Wir steigen hier nochmals auf 2550m und gleiteten dann via Zugerberg zum Birrfeld. Nach meinem langen Gleitflug vom fünften Wertungstag, war ich wegen der geringen Reservehöhe, die wir auf diesem Endanflug hatten, nicht mehr sonderlich beunruhigt. Es war ein schönes Bild als wir dann um 19.30 Uhr zu fünft die Ziellinie überflogen. Wir waren beinahe sechs Stunden unterwegs (74,9km/h, 35%) und erschöpft. Doch wir waren alle überglücklich und zutiefst beeindruckt von diesem schönen Flug.

Es war die gebührende Krönung für diese toll organisierte und toll geleitete Schweizermeisterschaft. Das Birrfeld und insbesondere die SG Lenzburg hat mit diesem Anlass viel Freude gemacht und viele Freunde gewonnen.